“Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.(Woody Allen).”
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Angst

Foto © Bildzeitung Die Angst eines Menschen nimmt eine wichtige Funktion ein. Sie dient als Schutz- und Überlebensmechanismus. Sie schärft unsere Sinne, aktiviert unsere Körperkraft und dient als Alarmanlage in tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahrensituationen. So in etwa wird dieses Gefühl in verkürzter Form definiert. Aber was hat es damit auf sich. Was alles kann es in uns auslösen und wie gehen wir damit um? Abgesehen von dieser Beschreibung, fällt es mir persönlich sehr schwer, dieses Phänomen in Worte zu fassen. Ich weiß zwar, was mein Körper mit mir anstellt, wenn ich in Gefahrensituationen gerate, auch was ich dabei denke, aber das bringt mir keine konkreten Antworten. Vielleicht gibt es ja auch gar keine konkrete Wortbeschreibung dafür, weil jeder für sich dies anders verarbeitet und fühlt. Was ich kann, ist darüber zu sprechen. Wie komme ich auf dieses Thema? Irgendwie denke ich in letzter Zeit immer wieder darüber nach. Ob es Berichte über Konflikte in unserer Welt sind, aktuelle Kriege, das Agieren einiger Autokraten, Popolisten oder Diktatoren, oder nur der Glaube an Demokratie und ein friedliches Miteinander, dass einigen Menschen derzeit abhanden kommt. So genau kann ich es nicht sagen. Vielleicht ist es auch alles zusammengenommen, weil diese Dinge derzeit so massiv, so geballt auf einen einstürzen. Gerade, wenn man in diesen Tagen die amerikanische Präsidentenwahl verfolgt hat. Man kommt mit den Nachrichten kaum hinterher und kann vieles kaum verarbeiten. Teilweise sind es Ereignisse, die einen im ersten Moment gar nicht selbst betreffen, die einen auf der anderen Seite aber grübeln lassen und ärgern. Aber dazu später mehr. In diesem Zusammenhang musste ich immer wieder an eigene Erlebnisse denken, oder an Erfahrungsberichte einiger Familienmitglieder. Was löste in ihnen Angst aus, wovor fürchteten sie sich? In welche Situationen sind sie geraten? Was macht mir derzeit Angst und welche Erfahrungen habe ich mit diesem Thema gesammelt? Mein erstes Angsterlebnis, an das ich mich erinnere, beruht auf keinem realen Ereignis. Es war ein Albtraum, der mich jahrelang verfolgte. Ich wuchs recht behütet auf und musste mich nicht fürchten. Viele schöne Erinnerungen habe ich aus dieser Zeit. Auch, wenn mir nach meinen fast 50 Jahren vieles entfallen ist. Aber dieser Traum ist noch immer recht präsent. Oder sagen wir, genau der letzte Teil dieses Traums blieb mir im Gedächtnis. Ich befinde mich dabei an einem Ort, den ich tatsächlich vor wenigen Wochen wieder besuchte. Ich habe dort einen ganzen Teil meiner Kindheit verbracht. Es handelt sich um einen kleinen Zeltplatz, kurz hinter Berlin, der heute nicht mehr existiert. Er lag genau an einem See, hinter dem sich nichts weiter erstreckte, als ein für mich endloser Wald. Ich renne in meinem Traum, ich flüchte, oft mit letzter Kraft, mal zu Fuß, mal auf dem Rad vor einer Kreatur weg, die mich verfolgt. Es muss wohl eine Art von Wolf, oder großem Hund gewesen sein, der mich zähnefletschend jagt. Kurz bevor ich nicht mehr kann, ist stets ein Brunnen oder ein tiefer Schacht meine letzte Rettung, in den ich mich hineinstürze, um nicht zerfleischt zu werden. Ich springe, falle endlos und wache auf. Unzählige Male durchlebte ich diesen Traum. Jahrelang. Was genau ich dort verarbeite, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Denn tatsächlich hatte ich weder vor diesem Ort, noch vor Hunden besonders große Angst. Mir machte eher das Gefühl nach dem Aufwachen große Sorgen. Später, als Jugendlicher, trat eine andere Situation ein, aus der ich mich langsam und großteils erst nach Jahren entziehen konnte. Ich hatte mit der Platzangst zu kämpfen. Das war sehr unangenehm, weil es mir eine zeitlang viele normale Alltagsdinge verwehrte. Der Auslöser war eine Veranstaltung im Freien. Unsere Familie besuchte ein überfülltes, abendliches Konzert mit großer Lasershow. Damit man diese Lichtshow besser sah, wurde der Konzertplatz sehr übermäßig eingenebelt. Wahrscheinlich aus damaligem Mangel heraus, benutzte man dafür statt des heute üblichen Disko- oder Theaternebels aus einer Mischung aus Wasser und Propylenglycol, eine Art Nebel aus dem Militärbereich. Dieser stank entsetzlich, war sehr dicht und brachte die Laserstrahlen zum Leuchten. Inmitten dieses Events, welches im Grunde sehr eindrucksvoll und unterhaltsam war, bekam ich Beklemmungen, mein Herz raste und mir ging es wahnsinnig schlecht. Umgeben von Menschenmassen, war es mir nicht möglich, diesen Platz einfach zu verlassen. Ich übergab mich. Dieses Ereignis machte es mir in der Folgezeit schwer, enge Räume zu betreten, lange mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein, oder auch nur Orte zu betreten, in denen sich viele Menschen aufhielten. Abgesehen vom Erlernen des autogenen Trainings und regelmäßigen Versuchen, mich dieser Angst zu stellen, überwand ich irgendwann zumindest meine Panikattacken durch ein Konzert der Band Depeche Mode im März 1988. Bis heute ist geblieben, dass ich mich inmitten von Menschenmassen noch immer unwohl fühle. Daher sehe ich zu, dass ich solche Besuche vermeide. Beide Ereignisse beruhten auf keiner realen Bedrohung oder einer Gefahr. Sie spielten sich in meinem Unterbewußtsein und in meinem Kopf ab. Trotzdem reagierte mein Körper. Ich hyperventilierte, mein Kreislauf spielte verrückt und ich brauchte eine ganze Weile, bis ich wußte, wie ich dem entgegentreten konnte. Ich machte mir damals Gedanken, wie es wohl wäre, wenn ich einer echten Gefahr gegenüber stand. Könnte ich so etwas verkraften? Inmitten dieser Platzangstphase kam ich in eine Situation, die meine Klaustrophobie zunächst verstärkte. Ich war an einem sonnigen Tag unterwegs mit meinem besten Kumpel und langjährigem Schlagzeuger. Die DDR existierte noch. Wir spazierten durch die Stadt und unterhielten uns endlos. Im Berliner Bezirk Friedrichshain angekommen, gegenüber des damaligen Hauptbahnhofs, dem heutigen Ostbahnhof, schauten wir uns den Verlauf der Berliner Mauer an. Wir liefen auch an einem Gebäude vorbei, dass rechts und links mit der Mauer verbunden war. Da hier unsere Kräfte langsam nachließen und wir Hunger bekamen, beschlossen wir, nach Hause zu fahren. Wir überquerten die Straße, um zur S-Bahn zu gelangen und wurden plötzlich von zwei Polizisten gestoppt. Ausweiskontrolle. Wir zückten unsere Papiere. Statt uns diese wieder auszuhändigen, fragte einer der beiden Polizisten, warum wir versucht hätten, in das Gebäude an der Mauer zu gelangen. Was für eine Unterstellung! Uns war nicht klar, was er damit andeuten wollte. Aber eine Antwort darauf erwartete er nicht. Der Schutzpolizist, wies uns an, in den Streifenwagen zu steigen. Auf der Polizeiwache angekommen, sperrte man uns umgehend und einzeln in winzige Zellen. Hier wurde mir dann ganz anders zumute. Wir hatten uns nichts vorzuwerfen. Die Herrschaften ließen uns eine ganze Weile schmoren. Wir kannten bereits Geschichten, wie willkürlich die Staatsorgane der DDR agierten. Was, wenn sie uns wegen absolut nichts weiter eingesperrt ließen? Was passiert jetzt? Einige Momente lang verfolgte ich diese Gedanken. Was mir aber mehr zu schaffen machte, war kurioserweise diese Zelle. Beengt, mit geschlossener Tür und nackten Wänden. Ich bekam eine Panikattacke. Während in der Nachbarzelle mein Kumpel ausgefragt und ihm immer wieder unterstellt wurde, wir hätten versucht, in das mauernahe Gebäude einzudringen, ging es mir langsam richtig schlecht. Wie es aussah, war es auch kein Polizist, der diese Vernehmung durchführte, sondern eher ein Herr von der Staatssicherheit. In meinem Kopf drehte sich alles, mein Magen rebellierte. Ich wäre in diesem Moment gar nicht mehr in der Lage gewesen, irgendetwas auszusagen. Zunächst glaubten die Polizisten, dass ich ihnen etwas vorspielte. Entsprechend äußerten sie sich. Als sie dann aber merkten, dass es mir zunehmend schlechter ging, holten sie sie dann doch einen Arzt hinzu. Dieser gab mir etwas zu Beruhigung. Ich wurde nicht mehr vernommen. Nach wenigen Stunden durften wir unsere Zellen dann endlich verlassen. Ich weiß nicht, ob sie uns nun aufgrund der Aussage meines Schulfreundes entließen, oder ob es meine Panikattacke war, sie ließen uns gehen und wir hörten nie wieder etwas über diesen Vorfall. Dieser Angstzustand war echt. Ich fühlte mich bedroht. Eine ähnliche Bedrohung sollte Jahre später erfolgen. Diese fand in der Nähe meines Wohnhauses statt. Die Wende und die DDR waren bereits Geschichte. 1992 wurde ich Hundebesitzer. Somit zog ich mit meinem neuen Familienmitglied morgens, nachmittags und abends meine Runden. Unweit unserer Siedlung gab es eine Kneipe, die in diesen Jahren recht oft als Versammlungsstätte der ortsansässigen Neonazis diente. Waren diese auf dem Weg dorthin, hörte man sie bereits lautstark an unseren Häusern vorüberziehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach, kamen einige bereits stark angetrunken dort an. Sie machten auch keinen Hehl daraus, welche Gesinnung sie verfolgten. In Kampfanzügen, kurzgeschorenen Haaren und meist in Grüppchen grölten sie auf ihrem Weg entsprechende Parolen, die eindeutig waren. Dummerweise kreuzten sich sich eines Abends unsere Wege auf meinem täglichen Gassi-Spaziergang. Sie waren zu siebent oder zu acht und ich wollte einfach nur vorbei. Nun sah ich nicht gerade wie der perfekte nationaldenkende und kurzgeschorene Glaubensgenosse aus. Eher wie der Künstler, mit längeren und gefärbten Haaren. Sie stelllten sich mir in den Weg. "Na, wen haben wir denn da?" war eine der ersten Sätze. Ich will hier einfach nur vorbei, antwortete ich. Sie begannen, mich zu bedrängen und zu schubsen. Als dann Worte, wie "Zecke", "Linke Sau" und "Volksschädling" fielen, bekam ich langsam Angst. Ich rechnete jeden Moment damit, dass eine Faust flog, weil sie dieses Spielchen immer mehr intensivierten. Bis ich in ihren Reihen ein bekanntes Gesicht entdeckte. Ich sprach ihn an. In diesem Moment erkannte auch er mich und überredete seine Kameraden, mich in Ruhe zu lassen. Glücklicherweise taten sie das auch und verschwanden. Ich brauchte an diesem Abend eine ganze Weile, um wieder herunter zu kommen. Nur zwei weitere Male in meinem Leben musste ich mich ernsthaft mit der Angst, oder der Furcht auseinandersetzen. Einmal durch eine Erkrankung, von der ich wochenlang in Atem gehalten wurde, ob sie lebensbedrohlich ist, oder nicht und ein zweites Mal, als ich bangen musste, ob ich auf einer Flugreise den Boden unbeschadet wieder erreichen würde. Beides überstand ich. Die Krankheit stellte sich als realtiv harmlos dar und der Pilot des schlimmsten Fluges meines Lebens, bekam die Situation am Ende in den Griff. Es war wohl doch nicht allzu leicht, drei Hurricans auf dem Atlantic auszuweichen. Wenn man solche Situationen erlebt hat, auch wenn sie alle glimpflich ausgingen, dann weiß man, wie es sich anfühlt. Die Ungewissheit, die Furcht, die Angst und die damit verbundenen körperlichen Reaktionen. Dass meine eher kurz andauernden Angstereignisse regelrecht Peanuts sind, gegenüber den Erfahrungen einiger Familienangehöriger, dass weiß ich und das ist mir klar. Ich stamme aus einer der letzten Generationen, die den Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges noch zuhören konnten. Die Fragen stellen konnten. Dafür brauchte man keine Geschichtsbücher, Guido-Knopp-Dokumentationen oder fremde Biographien. Nein, man unterhielt sich. Man konnte Details hinterfragen, um sich ein Bild zu machen. Das tat ich. Es interessierte mich. So erfuhr ich von vielen Schicksalen dieser Zeit, von den Empfindungen und Ängsten, die diese Menschen durchlebten. Wie es war, selbst nach vielen Jahren des Friedens, Angstzustände zu bekommen, wenn eine Sirene aufheulte. Immer mit dem Hintergedanken, dass Bomben fallen könnten. Vor allem meine Großtante hat viele Geschichten aus den Tagen des Dritten Reiches recht bildhaft erzählt. Ein Standartsatz, der nicht nur von ihr, wahrscheinlich unbewusst, immer wieder fiel, war "wir haben von all den Machenschaften der Nazis ja nichts gewusst" oder "so richtig mitbekommen, hat man ja nichts". Im nächsten Satz traf sie dann Aussagen, die das genaue Gegenteil bewiesen. Natürlich haben sie vieles gesehen. Sie erzählte von den jüdischen Familien in der Nachbarschaft, die in Nacht- und Nebelaktionen von den Nazis abgeholt wurden. Denen man nie wieder begegnete. Oder von einer willkürlichen Erschießung auf offener Straße, wogegen niemand etwas tat, weil alle wegschauten. Sie erklärte, wie man sich fühlte, wenn mitten in der Nacht der Fliegeralarm ausgelöst wurde, man in den Keller hinab stürzte und schweigend abwartete, bis alles vorbei war. In der Hoffnung, dass das eigene Wohnhaus nicht getroffen und man darunter begraben wird. Das ist Krieg. Dieses Szenario, diese Angst, zieht nicht spurlos an den Menschen vorüber. Es begleitet sie. Über Jahrzehnte hinweg. Allzu oft wurde mir das bestätigt. Meine Großtante berichtete auch von den Ängsten und der Furcht, mit denen sie in jenen Jahren ständig konfrontiert wurde. Sind alle Familienmitglieder wohlauf, wird sie ihren Bruder, meinen Großvater, der zur Wehrmacht eingezogen wurde jeh wiedersehen, werden sie in nächster Zeit überhaupt etwas zu essen haben? Viele Ungewissheiten belasteten die Familie. Immer mit der Angst verbunden, dass morgen alles vorbei sein könnte. Im Gegensatz zu meiner Großtante und ihrer Familie, die diese Kriegszeiten relativ unbeschadet überstanden, ist meiner Urgroßmutter mehr Leid angetan worden. Erst vor wenigen Jahren erfuhr ich, dass sie und ihre Schwester in ein Konzentrationslager depotiert wurden. Sie waren Halbjuden. Sie überlebten zwar beide, aber sie sprachen nicht über diese schreckliche Episode. Wie sie diese Zeit überstanden und was sie dort erlebten, blieb ihr Geheimnis bis zu ihrem Tod. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was die beiden dort gesehen und ertragen haben. Wie es ist, jeden Morgen aufzuwachen und Todesangst zu haben. Aufwachen mit dem Gedanken, einen Tag zu beginnen, der ihr letzter sein könnte. Ich weiß, wie sich Angst anfühlt. Aber ich möchte nie erleben, wie es wäre, wenn man diese über Jahre hinweg aushalten muss. Wie Angst zu einem Dauerzustand, zu einem ständigen Stressfaktor wird. Daher ist für mich unverständlich, welche Diskussionen heutzutage in unserer Gesellschaft geführt werden, die den Fokus auf das Wesentliche völlig verlieren. Die meisten von uns haben Vorfahren, die Leid, Entbehrung, Verlust und Zerstörung miterlebten. Durch eine Diktatur, die auf Lügen aufgebaut war, die Hass, Terror und Angst säte, um das Volk gefügig zu machen. Die auf extremen Nationalismus setzte, Kritiker in Arbeitslager und Gefängnisse steckte und sie gemeinsam mit selbsternannten Feinden ermorden ließ. Millionenfach. Ist das nicht unsere Vergangenheit? Sind das etwa nicht unsere Familiengeschichten? Dürfen wir zulassen, dass diese Erinnerungen verblassen? Sollten wir deshalb nicht jedem Kontra geben, der auch nur ansatzweise solche Zeiten verherrlicht? Sollten wir nicht jeden verurteilen, der uns heute wieder mit Lügen, Hass, Angst und Terror bedroht? Jeden Tag erfahren wir aus den Nachrichten, wie in vielen Regionen der Welt Konflikte und Kriege ausgetragen werden. Wie Menschen ermordet werden, wie Terror, Leid und Hunger den Alltag dieser Völker bestimmen. Dort leben Menschen wie wir, die diesen Stress und diese Angst, wie sie unsere Vorfahren erlebten, aushalten müssen. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir davon hören oder lesen. Daran sollten wir uns erinnern, wenn Menschen, die unter uns leben, unsere demokratischen Werte angreifen. Der Zweite Weltkrieg ist vor über 75 Jahren beendet worden und die Zeitzeugen sterben aus. Nicht jeder in meinem Umkreis hatte die Möglichkeit, auf persönlichem Wege soviel aus dieser Epoche zu erfahren. Einige unserer Vorfahren haben nicht darüber gesprochen, weil sie nicht daran erinnert werden wollten. Manches Mal sind diese Familiengeschichten nicht weitergetragen worden in die nächste Generation. Vielleicht verdrängen die Menschen von heute dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte. Aber sie hat stattgefunden. Mit unseren Ahnen als Täter, Mitläufer und Opfer. Verdrängt werden von uns auch viele aktuelle Konflikte und Kriege. Nur weil sie geographisch weit entfernt ausgetragen werden. Aber sie finden statt. An jedem Tag, in jeder Minute. Wir sehen die Leidtragenden mit ihrer Angst und Furcht nicht tagtäglich und werden selbst behütet und geschützt von unserer Demokratie, die anderen Menschen nicht zuteil wird. Zudem haben wir selbst dafür gar nichts tun müssen. Wir hatten einfach nur das große Glück, hier geboren worden zu sein. Wir leben im Wohlstand und in Frieden und merken manchmal nicht, dass dies kein Selbstverständnis ist. Das sollten wir aber tun. In unseren Handlungen, unseren Wünschen und unseren Zukunftsplänen setzen wir dies schließlich voraus. Wir sollten uns ins Gedächtnis rufen, welche Werte und welchen Luxus wir in einer Demokratie genießen dürfen. Einige scheinen das vergessen zu haben. Sonst würden sie anders agieren, als sie es tun. Tatsächlich bekomme ich wieder Angst und es macht mich wütend, wenn ich manche Aussagen in Sozialen Netzwerken oder anderen Medien hören oder lesen muss. Ging es beispielsweise um die sogenannte Flüchtlingskrise, wurde dort differenziert, wem unsere Errungenschaften, unser Wohlstand zugute kommen darf und wem nicht. Da machte man sich dann Sorgen um seinen Luxus, um seine materiellen Werte. Da werden Wohlstandsängste geäußert und geschürt. Ich stellte fest, dass einigen Mitbürgern jegliche Empathie abhanden gekommen ist, sie selbst auch gar nicht mehr über ihren Tellerrand hinausschauen und sich am Ende nur noch um ihren Egoismus kümmern. Wenn dies Hauptpriorität ist, dann muss man ernsthaft fragen: was wird aus allen anderen, wenn sich jeder nur noch um sich selbst kümmert? Es wirkt befremdlich, wenn ein amerikanischer Präsident ganz offen die über 200-jährige Demokratie seines Landes angreift. Es ist unfassbar, dass dieser Präsident teils mit autokratischen Mitteln gegen jeden Anstand, und gegen jede Regel regiert hat und man ihn nicht aufhält. Es wirkt befremdlich wenn sich Querdenker auf eine Bühne stellen und behaupten, wir lebten in einer Diktatur, oder meinen sich mit Sophie Scholl vergleichen zu müssen oder mit Anne Frank. Es wirkt weltfremd, wenn Menschen meinen, alternative Fakten wären die neuen Wahrheiten. Und was in aller Welt ist mit einigen los, die all diesen Querdenkern, Faschisten, Populisten und Verschwörungsgläubigen folgen und ihnen unwidersprochen Glauben schenken? Es ist ein Desaster und eine Gefahr für unsere Kommunikation, unsere Demokratie und unserem Zusammenleben. Der ehemalige Präsident Barack Obama hat in einem seiner letzten Interviews die Sachlage relativ gut zusammengefasst. Er sagte in etwa, dass es wichtig ist, dass wir diskutieren, uns austauschen und jeder eine Meinung haben sollte. Auch wenn sie gegensätzlich ist. Streitpunkte und Lösungsansätze können sehr unterschiedlich sein. Aber die Grundlage dafür ist einzig und allein die Faktenbasis. Nur, wenn wir alle von den gleichen Fakten ausgehen, können überhaupt konstruktive Lösungen gefunden werden. Ob ich Dinge ablehne, oder befürworte, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Wenn ich jedoch entgegen den Fakten zum Beispiel behaupte, einen Holocost gab es nie, eine Klimaerwärmung oder Covid19 existiert nicht, dann haben wir keine Basis mehr, uns überhaupt auseinander zu setzen. Ja, das macht mir Angst. Und ich fürchte umso mehr, dass es auch bei uns irgendwann eine tiefe Spaltung der Gesellschaft geben wird, die gar nicht mehr kommunikationsfähig ist. Genau darauf spekulieren die eben benannten Gruppen. Sie wollen Zwietracht säen. Sie wollen uns auf ihre unanständige und manipulative Art auf ihre Seite ziehen. Ihnen ist egal, ob sie es durch Lügen und Hass erreichen. Sie wollen uns glauben lassen, dass eine freie Presse und unsere Meinungsfreiheit nicht mehr existiere. Und wie ich feststelle, fallen einige Menschen bereits darauf herein. Sollten es mehr werden, haben wir uns nichts mehr zu sagen. Dann ist es nicht mehr weit hin, dass die Spalter, Hetzer und antidemokratischen Kräfte ihren Einfluß ohne großen Widerstand erweitern können. Und irgendwo wird auch in unseren Breiten ein neuer Trump, ein Orban, Putin, Erdogan oder Bolsonaro auftauchen, der die Massen begeistern kann. Der die Macht auf sich konzentrieren kann, so dass unsere demokratischen Errungenschaften, wie unsere Meinungsfreiheit, die Presse-, Informations- oder der Kulturfreiheit bedroht sein könnten. Tatsächlich sollten wir alle wieder mehr Angst verspüren, um uns vor dem Verlust unserer Werte zu schützen. Unsere Sinne sollten wieder geschärft werden und die Alarmglocken anspringen, wenn es nötig ist. Wir sollten versuchen, eine gemeinsame Faktenlage zu finden, um uns wieder normal zu streiten und diskutieren zu können. Wir müssen endlich aufhören uns ablenken zu lassen von solchem Blödsinn irgendwelcher imaginärer Kräfte, die angeblich unsere Welt beherrschen, uns zwangsimpfen, oder uns Mikrochips einpflanzen wollen. Ich möchte nicht irgendwann in einer Autokratie oder einer Diktatur aufwachen müssen, nur weil manche die verkehrten Prioritäten gesetzt haben und sich vor dem Falschem gefürchtet haben. Wenn ich über all diese Dinge nachdenke, ist es vielleicht manchmal gar nicht so schlimm, wenn man Angst verspürt. Auch wenn es ein unangenehmes Gefühl ist und diese nicht zu einem Dauerzustand wird. Denn gewissermaßen schützt sie uns. Man darf Angst natürlich auch nicht verwechseln, mit den Sorgen, die einen durchaus tagtäglich begleiten. Sorgen um die Familie, die Kinder, oder den Job haben nichts mit Angstzuständen zu tun. Auch die krankhaften Ängste, wie meine Klaustrophobie haben in dieser Beschreibung eigentlich nichts zu suchen. Sie sollte nur Beispiel sein für die vermeintliche Gefahrensituation, die sich aber auch körperlich auswirken kann. Ich kann nur hoffen, dass für mich und für uns alle die Angst und die Furcht in der Zukunft nur Alarmgeber bleiben wird und unsere Sinne auf den richtigen Fokus setzt.